Der Staat und die Todes-Tombola

Verfassungsrechtliche Schwurbeleien gegen die gesetzliche Corona-Impfpflicht (Teil 1) 

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Vorab ein kleiner Grundsatz-Prolog zu den fünf Ws der Schwurbologie: Wer darf worüber in welcher Weise und kraft welcher Kompetenz ein Wörtchen mitreden?

In den Talkshows der Republik, von Plasberg über Presseclub bis Bundestag, begegnet man regelmäßig Menschen, die sich in einem merkwürdig dummstolzen Bescheidenheitsgestus gefallen: Sie seien keine Virologen, sie könnten allenfalls Meinungen äußern, aber letztlich zählten nun mal die Fakten der Wissenschaft, und man müsse sich in komplexen Fragen wie der Impfpflicht ein Stück weit auf das Wissen der Spezialisten und „sachkundigen Dritten“ verlassen, es könne nicht jeder mitreden, eine beliebige Studie aus dem Ärmel ziehen und damit gegen die überwältigende Mehrheit anerkannter Forscher argumentieren; wenn die Fachleute sich einig seien, dann müsse man auf deren Erkenntnisse vertrauen und könne nicht wie ein trotziges Kind die Fakten verleugnen. So in etwa klingt die moralistische Demutsgebärde, mit der expertenfürchtige Politiker und Konsensjournalisten die gegenwärtig sich ausbreitende Szientokratie gegen Schwurbler, Schwadroneure und Denkamateure verteidigen.

Schwurbelei als verbaler Ausdruck mentaler Unordnung ist in der Tat ein Problem, vor allem seit jeder Klospruch, jeder im Affektgewitter in die Tastatur delirierte Geistesblitz irgendeines Kommunikationsgenies seinen Weg in die digitale Weltöffentlichkeit findet. Aber wissenschaftsgläubige Selbstverzwergung und Abdankung des Intellekts vor dem Fachidiotentum sind letztlich auch nicht viel erfreulicher. Begrüßenswert ist zweifellos, dass die Wissenschaft in den zwei Jahren der Corona-Pandemie eine enorm gesteigerte Aufmerksamkeit erfahren hat. Und dass normale, aller akademischen Verstiegenheit unverdächtige Leute, die sonst eher für solide Gala- und Kicker-Lektüre zu haben waren, sich neuerdings durch Studien zur Übersterblichkeit kämpfen und Statistiken zur Intensivbettenbelegung vergleichen, wird wohl niemanden verdrießen, der regelmäßig größere Summen auf das Spendenkonto von Artists against Volksverpöbelung überweist.

Aber Wissenschaftler sind halt für Wissenschaft zuständig, nicht für Politik, nicht für Ethik, nicht für die Regeln des Zusammenlebens einer Gesellschaft, nicht für die Verfassungsgemäßheit von Gesetzen, nicht fürs Pandemiemanagement, nicht für die Abwägung, wie viele Menschen an welchen Krankheiten sterben dürfen.[1] Virologen sind für Viren zuständig. Wenn es um die Belange von echten Lebewesen, echten Menschen geht, um individuelle Lebenschancen und kollektive Psychopathien, um ethische Paradigmenwechsel und Zivilisationsbrüche, um Machtverschiebungen und Ausnahmezustände, dann scheint es ratsam, nicht nur auf weißbekittelte Spezialisten zu hören, die für gewöhnlich in Laboren sitzen und durch Mikroskope äugen. Der Volksmund mahnt seit Ewigkeiten: Schuster, bleib bei deinem sozialen Funktionssystem! Oder wie Niklas Luhmann neulich nachts im Fernsehen sagte: Wenn ein Politiker einen Herzanfall erleidet, dann wird man ihn tunlichst ins Krankenhaus fahren, und nicht in die Parteizentrale.[2]
Was aber, wenn eine Gesellschaft eine Pandemie erleidet? Wohin fährt man sie dann?


Erkenntnis und Entscheidung

Es muss gelegentlich auf den Dualismus von Erkenntnis und Entscheidung hingewiesen werden. Aus Daten und Fakten folgen keine Gebote, Regeln oder Pflichten. Tatsachen beinhalten keine Handlungsanweisungen und keine ethischen Schlussfolgerungen. Etwas wie ein „Sachzwang“ existiert nicht. Das, was ist, das, was gilt, und das, was getan werden soll, unterliegt unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten und verschiedenen Zuständigkeiten. Und über das, was im Gemeinwesen gelten soll, hat jeder Bürger, sei er Schwurbler, Spiegel-Autor oder Starvirologe, sein Wörtchen mitzureden.

Was sollen wir tun? – Das ist die Grundfrage der Ethik. Wie gelangen wir in konkreten Fällen zu „richtigen“ Entscheidungen? Wenn wir dieses und jenes Problem haben, wie sollen wir dann idealerweise handeln?
Das Wissen bildet zusammen mit den Werten die Wenn-Seite der Ethik. Die Dann-Seite ist nichts, was „da ist“ und gefunden werden könnte wie eine Wahrheit, sie wird – je nach Sachlage mit größeren oder kleineren Freiheitsgraden – „gemacht“, gestaltet, zustande gebracht unter Anwendung von Logik, Klugheit, Urteilskraft, Mut, Redlichkeit, Entschlossenheit. Das sind Tugenden, die man im Allgemeinen vom Politiker erwartet. Man sollte sie von jedem politisch mitdenkenden und mitredenden Menschen, also von jedem Bürger – „Bürger“ im feiertäglichsten Sinn des Wortes – erwarten. Die Entscheidungen darüber, was zu Nutz und Frommen des Gemeinwesens getan werden soll, darf der Bürger nicht an den Wissenschaftler delegieren. Die politische Ethik verlangt von jedem Bürger – und vom Politiker als Bürger-Repräsentanten natürlich in besonderem Maße –, dass er das verfügbare Wissen um eine Sachlage zur Kenntnis nimmt – und zwar in der gebotenen Tiefe zur Kenntnis nimmt –, dass er die relevanten Werte gewichtet (idealerweise existiert in einer Gesellschaft bereits eine etablierte Werthierarchie und muss nicht für jeden Problemfall neu erarbeitet werden), und dann unter bestmöglichem Einsatz der oben genannten Tugenden zu verantwortungsvollen Entscheidungen gelangt. Wenn dies und das der Fall ist (Erkenntnis von Gegebenheiten), und wenn dies und das gilt (Anerkenntnis von Werten), dann sollten wir so und so handeln (Entscheidung über Normen, Regeln, Pläne, Ziele).

Ich schicke dies alles voraus, da ich im Folgenden nach Herzenslust zu schwurbeln gedenke. Das heißt, ich will als einfacher Bürger ein paar Wörtchen mitreden auf einem Gebiet, für das ich durch keinerlei solide Ausbildung qualifiziert bin. Ich hoffe diesen Mangel erstens durch eine gewisse Kunstfertigkeit in superkritischer Selbstüberwachung und zweitens durch die Versicherung, dass es mir hier – wie immer – nicht ums Rechthaben, sondern nur ums Anregen geht, ein wenig ausgleichen zu können.


Warum eine allgemeine Corona-Impfpflicht verfassungswidrig ist

Ich kann mir nicht vorstellen, dass je eine Abwägung dermaßen einfach und eindeutig war. Man nehme ein Grundgesetz, man nehme ein funktionsfähiges Gehirn, man werfe ein paar Blicke auf die Realität, und die Sache ist klar: „Eine allgemeine Impfpflicht verstößt gegen zahlreiche Normen des Grundgesetzes und ist deshalb verfassungswidrig.“
Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten im Auftrag des Vereins Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung, erstellt von Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht (und noch ein paar andere Rechte) an der Universität Oldenburg.[3]

Eine Corona-Impfpflicht verstößt im Einzelnen

  • gegen die Menschenwürdegarantie
  • gegen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
  • gegen das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit
  • gegen das Erziehungsrecht der Eltern
  • gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte
    Außerdem
  • gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und
  • gegen das Wesentlichkeitsprinzip

Diesem Befund ist weitestgehend zuzustimmen, und das Gutachten sei hiermit jedem Mitbürger dringend zur Lektüre empfohlen, allerdings scheint die Argumentation stellenweise vielleicht ein wenig der Konkretisierung und Nachschärfung zu bedürfen (wenngleich auch das vermutlich nicht reichen wird, um eine größere Anzahl von Politikern, Publizisten, Rechtsgelehrten und Richtern in einem Klima, wie es derzeit herrscht, noch groß umzustimmen). Ich will mich mit meinen bescheidenen Möglichkeiten auf die Fragen fokussieren, auf die es letztlich wohl ankommen wird, beherzt beginnend mit dem grundgesetzlichen Sanctissimum, der Menschenwürde[4]:


Steht eine gesetzliche Impfpflicht im Einklang mit der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG?

Die semantische Diffusität der Würde beeinträchtigt ihre argumentative Handhabbarkeit leider erheblich, nicht nur in Fragen der Impfpflicht, sondern generell. Während die Versehrung des Körpers, etwa durch einen „Pieks“ und dessen Folgen – zum Beispiel Gesichtslähmung oder Begräbnis – objektiv gut feststellbar ist, sind Verletzungen der Menschenwürde letztlich immer subjektive Glaubens- und Empfindungsfragen. Ob die Würde, dieser metaphysische Goldstaub und Edelrost über der Existenz eines jeden Hominiden, durch eine Impfpflicht angetastet wird, ist eine hochemotionale Frage. Ich würde sie wohl bejahen, aber dergleichen eignet sich eigentlich eher für ein Demo-Transparent als für den argumentativen Nachweis der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes.

Ganz unabhängig jedoch davon, ob irgendjemand definieren kann, was die Würde genau sein soll, können wir uns praktischerweise auf andere Fälle berufen, in denen ihre Unantastbarkeit als Argument herangezogen wurde. Wie wurde in solchen Fällen abgewogen und geurteilt? Boehme-Neßler zitiert die berühmte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2006, als es darum ging, ob der Staat „Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen“, abschießen darf.

Dürfen staatliche Streitkräfte ein entführtes Passagierflugzeug vorsorglich vom Himmel holen, wenn die Terroristen zum Beispiel Kurs auf ein vollbesetztes Fußballstadion nehmen, in der Absicht, damit zehntausende von Menschen zu töten? Darf der Staat die 100 oder 200 Menschen in dem Flugzeug töten, in der Absicht, die 80.000 Menschen in dem Stadion vor dem drohenden Tode zu bewahren?
Das Gericht urteilte, dass er das nicht darf.[5]

Die Beschwerdeführer argumentierten seinerzeit: „Der Staat dürfe eine Mehrheit seiner Bürger nicht dadurch schützen, dass er eine Minderheit – hier die Besatzung und die Passagiere eines Flugzeugs – vorsätzlich töte. Eine Abwägung Leben gegen Leben nach dem Maßstab, wie viele Menschen möglicherweise auf der einen und wie viele auf der anderen Seite betroffen seien, sei unzulässig. Der Staat dürfe Menschen nicht deswegen töten, weil es weniger seien, als er durch ihre Tötung zu retten hoffe.“ Und der Erste Senat gab ihnen Recht. Eine derartige Relativierung des Lebensrechts ist verfassungswidrig.


Irgendwen wird es treffen

In der Frage der Impfpflicht haben wir nun einen ziemlich (wenn auch nicht vollständig) analogen Fall einer solchen Aufrechnung von Leben gegen Leben vor uns.
Die Impfung gegen COVID-19, die in Deutschland seit dem 27.12.2020 im Gange ist, hat Menschen das Leben gekostet, daran kann kein Zweifel bestehen. Fraglich und höchst umstritten ist lediglich, wie viele es bislang waren. Der letzte Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 07.02.2022 verzeichnet 2255 Verdachtsfälle mit tödlichem Ausgang. Diese Zahl ist einerseits mit Vorsicht zu betrachten, denn natürlich sind unter den vielen Millionen, die in Deutschland geimpft worden sind, rein statistisch tausende, die auch ohne die Impfung gestorben wären. Dies entspricht den Erwartungen (Observed-versus-Expected-Analyse). Insofern könnte man davon ausgehen, dass die Zahl der echten Impftoten deutlich geringer sei, als die der Verdachtsfälle, die lediglich in einem zeitlichen Zusammenhang gestorben sind. „Nach Schätzungen des Paul-Ehrlich-Instituts sind nur rund vier Prozent der gemeldeten vermeintlichen Todesfälle in Zusammenhang mit einer Corona-Schutzimpfung tatsächlich als Folge der Impfung zu betrachten.“ So vermeldet ein wackerer ARD-Faktenchecker.[6]

„Nur rund vier Prozent“ – nun, das wären etwa jene 85 Einzelfälle unter den bis Ende 2021 registrierten 2255 Todesfällen, bei denen das PEI den ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich bewertet. Man kann allerdings mit guten Gründen auch wesentlich höhere Zahlen für wahrscheinlich halten[7], Statistik ist halt auch Interpretationssache, und realitätsgerechtes Interpretieren ist eine Frage der Redlichkeit. Aber gehen wir ruhig vom kleinsten gemeinsamen Nenner aus, also von den besagten 85 Impfopfern (es würde sich an der Argumentation aber nicht einmal dann etwas ändern, wenn wir von nur einem einzigen Toten ausgehen würden).

85 Menschen stehen auf der einen Seite der Waage – das entspricht etwa einem kleineren Passagierflugzeug, einem nicht ganz voll besetzten Airbus A-318 oder einer Boeing 717.
Auf der anderen Seite haben wir eine recht unbestimmte Anzahl von Menschenleben, die – so die Theorie – durch die Impfung gerettet werden. In Deutschland sind bislang 120.000 Menschen „im Zusammenhang mit COVID-19“ verstorben. Wenn wir hier mal nicht so penibel sind wie bei den Impftoten, und großzügig ignorieren, dass von diesen 120.000 Menschen ebenfalls ein großer Anteil (vielleicht ebenfalls 96% … ?) erwartbarerweise gestorben wäre (zumal wenn man sich vergegenwärtigt, dass die meisten „Coronatoten“ altersmäßig über der statistischen Lebenserwartung liegen), und wenn wir zudem noch beiseite lassen, dass mutmaßlich tausende von Patienten infolge unnötiger Intubation gestorben sind[8] –, wenn wir also einfach die offizielle Lesart übernehmen, dass von den 120.000 etwa 83% ursächlich an der Viruserkrankung gestorben seien und anderenfalls noch leben könnten, dann rechnen wir also entgegenkommenderweise mit 100.000 Coronatoten.

100.000 Menschen – dies entspricht größenordnungsmäßig einem vollbesetzten Stadion. Wir lassen außer Acht, dass es bei der Impfpflicht nicht um die Verhinderung von weiteren 100.000 Toten geht, niemand argumentiert meines Wissens mit einem solchen Szenario für die nähere Zukunft. Die Zahlen, die ich hier in Vergleich bringe, sollen lediglich Größenordnungen veranschaulichen.
Es geht um 100 Flugzeugtote versus 80.000 Stadiontote.
Es geht um 85 Impftote versus 100.000 Coronatote.
Es geht darum, ob man eine geringe Zahl von Toten in Kauf nehmen darf, um eine große Zahl von Menschenleben zu retten. Und auch wenn der kleine Mann auf der Straße und die mittlere Frau auf Twitter mit überwältigender Mehrheit sagen: „Ja, darf man!“, sagt das großartige Grundgesetz: „Nein, darf man nicht.“

Es ist ja nun mal nicht die Frage, ob sich eine gewisse Anzahl heldenhafter Menschen freiwillig opfert, um eine Katastrophe zu verhindern, es geht vielmehr darum, dass der Staat Menschen gegen ihren Willen zum Opfer macht. Der Staat darf nicht 85 Leben verrechnen mit 100.000 Leben. Noch nicht mal dann, wenn diese Wenigen – wie im Fall der Flugzeugentführung – bereits so gut wie tot sind. Artikel 1 des Grundgesetzes verbietet es dem Staat, seine Bürger zu entwürdigen, indem er sie als Mittel zum Zweck gebraucht, und sei der Zweck noch so utilitaristisch plausibel durchkalkuliert. Der Staat darf seine Bürger nicht entwürdigen, indem er sie zur Teilnahme an einer Tombola verpflichtet, bei der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Menschen zu Tode kommen werden. Mit einer gesetzlichen Impfpflicht schickt der Staat Menschen in den Tod. Das kann als sicher gelten. Unsicher ist lediglich – wie bei jeder Auslosung –, wen es treffen wird.


Der Staat als Erpresser

Die Analogie ist – wie gesagt – nicht hundertprozentig. Der offensichtliche Unterschied zwischen Flugzeug-Abschuss und Impf-„Pieks“[9] besteht darin, dass der Staat im Falle der Impfung nicht selbst schießt. Und er lässt den potentiellen Zielen seines Handelns eine Möglichkeit, seinem Angriff auszuweichen.

Mit dieser „Möglichkeit“ entkräftete das neuartige Bundesverfassungsgericht – dem zum Bedauern vieler Rechtsstaats-Fans kein Richter Hans-Jürgen Papier mehr präsidiert – in einer kürzlich getroffenen Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht[10] die Einsprüche von 46 Klägern. In der Hauptsache ist noch nichts entschieden, aber zur Orientierung, wohin die juristische Reise gehen soll, kann der Beschluss wohl schon mal dienen. Der Harbarth-Senat argumentiert allen Ernstes, dass Pfleger und Ärzte, die sich nicht impfen lassen wollen, ja die Möglichkeit hätten, dem Eingriff zu entgehen, indem sie sich einen neuen Job suchten. Das Gericht erkennt durchaus an, dass Menschen durch die Impfung zu Tode kommen können – immerhin[11]. Aber – und diese Spitzfindigkeit ist schon beachtlich – der Staat zwingt ja niemanden, also ist er auch für niemandes Tod verantwortlich, die Pflicht ist nur eine Pflicht – such dir einen neuen Job, verliere deine berufliche Existenz, sieh zu, wie du Geld verdienst – wir zwingen niemanden, an der Todeslotterie teilzunehmen.

Nach derselben Logik könnte man auch die von Corona bedrohten vulnerablen Gruppen auffordern, sich einfach konsequent von jedem menschlichen Kontakt fernzuhalten. „Was wollen Sie denn? Sie müssen sich doch nicht infizieren, wir zwingen niemanden, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Bleiben Sie in Ihrer Wohnung, in Ihrem Heim-Zimmer, lassen Sie niemanden herein, kleben Sie die Fenster ab, dann werden Sie sich nicht mit Corona infizieren, und wir müssen niemanden zu einer gefährlichen Impfung verpflichten, um Ihr Leben zu schützen.“

Es scheint absehbar, dass künftige Klagen, die unter Berufung auf die Menschenwürde gegen eine allgemeine Impfpflicht angestrengt werden, mit ähnlich rustikaler Abbügelung rechnen dürfen. Der Staat zwingt niemanden, sich impfen zu lassen, zahlen Sie ein Bußgeld, nehmen Sie diese und jene Schikane in Kauf – Sie haben die Wahl.

Wie gesagt, ich bin nicht vom Fach, ich bin nur ein schwurbelnder Laienlegist, der sich so seine Gedanken macht. Ich komme weder aus dem Verfassungs- noch aus dem Strafrecht. Aber da, wo ich herkomme, nennt man so was schlichtweg Erpressung. Und wenn ich’s recht bedenke, wär mir ein Staat, der seine Bürger mit Raketen vom Himmel schießt, um Tragödien zu verhindern, fast noch lieber als einer, der sie auf solch mafiöse Ganovenart gefügig zu machen sucht.


(Fortsetzung folgt)


 

[1] Da ich für diese Ansicht zuweilen Widerspruch ernte: Ich will gern zugeben, dass ich ein etwas rigides Wissenschaftsverständnis habe. Wissenschaft – um es so kernig wie möglich zu sagen – will herausfinden, was Sache ist. Wissenschaft bemüht sich – dem Anspruch nach – systematisch wahre Aussagen über die Wirklichkeit zu generieren. Das tun Disziplinen wie Ethik, Jura, Literaturwissenschaft etc. nur sehr selten, etwa wenn sie empirische Untersuchungen über moralische Normen oder über die Behandlung verschiedener Bevölkerungsgruppen vor Gericht oder über die Häufigkeit bestimmter Wortarten in Texten anstellen. Ansonsten geht es da meist weniger um Wahrheit als vielmehr um Stimmigkeit. Viele akademische Disziplinen weisen ein schwer entwirrbares Geflecht von Wissenschaft, Kunstfertigkeit, Gelehrtentum, Technik, Theorie, Dogmatik, Phantasie auf, beispielhaft hierfür ist die Psychologie. Vergrößert wird die Verwirrung noch durch Zwitterkategorien wie „Angewandte Wissenschaft“. Ist die Humanmedizin eine angewandte Wissenschaft? Oder der Maschinenbau, oder die Architektur, oder die Pädagogik? Oder sind das nicht vielmehr Künste und Techniken, die sich bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse bedienen? Sie wenden eine bestimmte Sachkunde an, um etwas realitätsgerecht und ergebnisorientiert zu produzieren, oder um zu wissen, wie sie bei einer bestimmten Operation, einer bestimmten Konstruktion, einer bestimmten Intervention vorgehen müssen. Vielleicht bin ich da zu korinthenkackerisch, aber solche „Applied Sciences“ sollten vielleicht eher „wissenschaftsbasierte Könnerschaft“ heißen. (Was dann allerdings auch Disziplinen wie die Kfz-Mechatronikerschaft einschlösse …)

 

[2] Niklas Luhmann: „Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?“ – Vortrag aus dem Jahr 1993

https://www.ardmediathek.de/video/tele-akademie/gibt-es-in-unserer-gesellschaft-noch-unverzichtbare-normen-niklas-luhmann/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE1NjczOTc

 

[3] Rechtsgutachten „Ist eine allgemeine Impfpflicht gegen das SARS-CoV-2 verfassungsgemäß?“ von Univ.-Prof- Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Rechtstheorie, Telekommunikations- und Informationsrecht an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, erstellt im Auftrag von „Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.“ vom 25. Januar 2022. 

https://individuelle-impfentscheidung.de/fileadmin/Downloads/Gutachten_Corona-Impfpflicht_final.pdf

 

[4] Teil 2 wird die Frage behandeln, inwiefern die Einschränkung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) durch ein Impfpflichtgesetz verhältnismäßig wäre.

 

[5] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 – 1 BvR 357/05 -, Rn. 1-156,

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/02/rs20060215_1bvr035705.html

 

[6] Gabor Paal: „Wenn nicht 5.000 Corona-Impftote, wie viele dann?“

https://www.swr.de/wissen/corona-impftote-warum-der-umgang-mit-den-zahlen-schwierig-ist-100.html

Zur Fragwürdigkeit der Observed-versus-Expected-Analyse: Christof Kuhbandner: „Der Anstieg der Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit den Impfungen: Ein Sicherheitssignal wird ignoriert“

https://multipolar-magazin.de/artikel/ein-sicherheitssignal-wird-ignoriert

 

[7] A. Weber: „Schätzt das PEI die Impfung korrekt ein?“ – Reitschuster.de, 09. Feb. 2022, (https://reitschuster.de/post/schaetzt-das-pei-die-impfung-korrekt-ein/), hält 800 bis 20.000 Tote für denkbar. Andreas Zimmermann geht für Deutschland von mindestens 50.000 bis 75.000 Impftoten aus. (https://www.achgut.com/artikel/warum_werden_corona_geimpfte_so_krank)

Die Publikationsorte mögen ein paar Reputationsstufen unter dem NEJM liegen, aber ein um Objektivität bemühtes Gericht, müsste m.E. auch diese sachkundigen Dritten anhören und ihren begründeten Hypothesen nachgehen.

Die mit übelsten Methoden diffamierte Analyse von Christof Kuhbandner nennt keine Summe, der Befund legt aber mehrere tausend Impftote als realistisch nahe.

https://osf.io/5gu8a/

 

[8] Das Gericht möge zu dieser Frage bitte die Doctores Thomas Voshaar (Moers) und Gunter Frank (Heidelberg) anhören.

 

[9] Zum unsäglichen Wording Lothar Krimmel, Sieben Gründe gegen eine allgemeine Impfpflicht: „Auch die Injektion tödlichster Substanzen benötigt stets nur einen ‚Piks‘. Mit solchen ‚Piksen‘ wurden im Namen Deutschlands die schrecklichsten Verbrechen der Medizingeschichte begangen.“

 

[10] Beschluss vom 10. Februar 2022, 1 BvR 2649/21

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-012.html

 

[11] „Im Einzelfall können auch schwerwiegende Impfnebenwirkungen eintreten, die im extremen Ausnahmefall auch tödlich sein können. […] Allerdings verlangt das Gesetz den Betroffenen nicht unausweichlich ab, sich impfen zu lassen. Für jene, die eine Impfung vermeiden wollen, kann dies zwar vorübergehend mit einem Wechsel der bislang ausgeübten Tätigkeit oder des Arbeitsplatzes oder sogar mit der Aufgabe des Berufs verbunden sein. […] Wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, sind […] nicht geeignet, die Aussetzung der Anwendung von Normen zu begründen.“

 

 

 

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© Marcus J. Ludwig 2022
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